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Bärenhüter, Meteorströme und antike Mythen

Aktualisiert: 27. Juni

Eine Frau mit Ähren vor Nacchthimmel, Demeter

Geheimnisvolle Juni-Bootiden:

Wenn Bootes Sternschnuppen regnen lässt

und was der Bärenhüter, Meteorströme und antike Mythen damit zu tun haben


Wenn die Sonne am höchsten steht und die Nächte am kürzesten sind, fällt es leicht, den Blick nicht gen Himmel, sondern auf die Welt um uns zu richten – auf Wiesen, Feste, das pralle Leben. Doch gerade um die Sommersonnenwende lohnt sich ein stiller Blick in die Dämmerung, denn dort, wo das Sternbild Bootes steht, huschen manchmal sanft leuchtende Meteore über den Himmel: die Juni-Bootiden.



Ein leiser Strom am Rande der Mittsommernacht


Die Juni-Bootiden sind ein eher schwacher, aber außergewöhnlicher Meteorstrom, der zwischen dem 22. Juni und dem 2. Juli aktiv ist, den Höhepunkt erreichen sie am 27.06.2025.

Anders als die bekannten Perseiden oder Geminiden zeichnen sich die Bootiden durch ihre Unberechenbarkeit aus – manche Jahre bleiben sie unsichtbar, in anderen zeigen sie plötzlich erhöhte Aktivität. Das letzte bemerkenswerte Schauspiel dieser Art war 1998, als Himmelsbeobachter unerwartet bis zu 100 Meteore pro Stunde zählen konnten.

Die Sternschnuppen scheinen aus dem Sternbild Bootes zu kommen, dessen hellster Stern Arktur auch in lichtverschmutzten Gegenden sichtbar bleibt. Ihr Ursprung liegt im Kometen 7P/Pons-Winnecke, dessen Staubspur die Erde einmal jährlich durchquert. Treffen diese winzigen Partikel auf unsere Atmosphäre, verglühen sie als zarte Lichtstreifen. Botschaften aus dem All, die oft nicht mehr als ein Flüstern sind.



Bootes – der Bärenhüter


Das Sternbild Bootes ist schon seit der Antike bekannt und zählt zu den 48 klassischen Sternbildern, die Ptolemäus in seinem Werk Almagest im 2. Jahrhundert n. Chr. beschrieb. Es liegt nördlich des Himmelsäquators, angrenzend an bekannte Sternbilder wie den Großen Bären (Ursa Major), Drache und Herkules (das wird noch bedeutsam).

Besonders markant ist Arktur, ein orange leuchtender Riese und einer der hellsten Sterne am Nachthimmel.

Der Name Bootes wird meist mit der mit Rindern pflügt übersetzt, doch seine mythologische Bedeutung reicht tiefer.


Arkas – Sohn der Bärin


Eine der bekanntesten Deutungen des Sternbildes Bootes ist die Legende von Arkas, dem Sohn der Nymphe Kallisto und des olympischen Göttervaters Zeus.

Kallisto war Teil des Gefolges der jungfräulichen Göttin Artemis und führte ein angenehmes Leben, der Jagd und dem Wald geweiht, vor allem natürlich fern von Männern. Zeus, wie so oft auf amourösen Abwegen, erschien ihr in Gestalt seiner Tochter Artemis – sozusagen als antike Dragqueen.

Wenig später stellte sich heraus, dass der Blitzeschleuderer mal wieder für göttlichen Nachwuchs und Riesenärger gesorgt hatte.

Artemis verstieß die Gefährtin, Hera, die eifersüchtige Gattin des Zeus, bestrafte Kallisto auf ihre Weise. Sie verwandelte die Nymphe in eine Bärin. Arkas, ihr Sohn, wuchs unter Menschen auf und wurde ein geschickter Jäger, der nichts von seiner Herkunft ahnte.

Eines Tages begegnete er im Wald der Bärin, seiner eigenen Mutter, und hob den Speer. Im letzten Moment griff Zeus ein, um die Tragödie zu verhindern. Er versetzte beide an den Himmel: Kallisto als Großen Bären (Ursa Major), Arkas als Bärenhüter oder nach anderen Quellen als Kleinen Bären.


Symbolik: Die Geschichte von Arkas ist mehr als ein antiker Mythos. Sie ist eine Erzählung über Verlust, Trennung, aber auch über Rettung und das Eingreifen einer höheren Ordnung. Arkas steht als Bootes am Firmament nicht nur für den Jäger, sondern für denjenigen, der das Gleichgewicht bewahrt: zwischen Mensch und Natur, zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen dem Irdischen und dem Göttlichen.


In den Nächten der Juni-Bootiden, wenn die Sternschnuppen aus der Richtung des Bootes zu kommen scheinen, wirkt es fast so, als hätte Arkas selbst eine Handvoll Himmelsfunken ausgestreut, als Zeichen, dass auch aus den verborgensten Geschichten Licht entstehen kann.



Ikarios – Der erste Winzer


Eine andere Überlieferung erzählt von Ikarios, einem sterblichen Mann aus Attika, der von Dionysos persönlich mit dem Wissen um den Weinanbau beschenkt wurde. Voller Stolz schenkte Ikarios den Hirten seiner Umgebung von dem neuen Getränk ein. Diese glaubten, er habe sie vergiftet, weil ihnen vom Wein schwindelig wurde, und erschlugen Ikarios.

Seine Tochter Erigone fand den Vater tot, erhängte sich vor Schmerz, und ihr Hund Maera starb ebenfalls vor Kummer. Zeus (oder Dionysos) setzte alle drei an den Himmel. Ikarios als Bootes, Erigone als Jungfrau (Virgo) und den Hund als Sternbild Großer Hund.


Symbolik: Diese Version verbindet Bootes mit Trauer, göttlicher Gabe und tragischer Unwissenheit. Ikarios ist ein Märtyrer des Fortschritts, ein Geschenk der Götter, das von Menschen missverstanden wurde.



Der Pflüger des Himmels


In der antiken Landwirtschaft galt Bootes auch als derjenige, der den Pflug erfand bzw. die Ochsen vorspannte, je nach Quelle. Als Erinnerung an diese Tat erhielt er seinen Platz am Firmament und lenkt seither den himmlischen Pflug.

In dieser Lesart wird er mit dem Großen Wagen (Teil von Ursa Major) in Verbindung gebracht, der als Pflug gedeutet wurde. Bootes treibt ihn über den Himmel – eine Huldigung an das Ackerbauwissen vergangener Kulturen, in denen die Gestirne den Jahreskreis und die Aussaatzeiten bestimmten.


Symbolik: Bootes wird hier zum Schutzgeist der Bauern und Feldarbeiter, zum Hüter von Zyklen und Ordnung.



Mein Buchprojekt


Warum ich euch das erzähle? Genau damit beschäftigt sich mein aktuelles Buchprojekt. Sachlich fundiert beschreibe ich die 88 von der IAU ratifizierten Sternbilder. Die Mythen der 48 klassischen Sternbilder entstaube ich ein wenig und erzähle sie neu. Dazu habe ich mir Hilfe geholt – keinen geringeren als den größten Helden der Antike, Herakles. Immerhin hängt er als Sternbild Herkules am Nachthimmel und hat nicht wirklich was zu tun, da war es leicht, ihn zu überreden.


Ich präsentiere euch keinen Auszug aus meinem Projekt, Herakles erzählt euch einfach mal, wie er die Mythen erlebt hat. Viel Spaß mit eurem Sternenführer.


Bärenhüter, Weinbauer oder Himmels-Pflüger

Erzählt von Herakles


Also, Bootes. Ja, ich weiß, der Name klingt ein bisschen wie ein altgriechischer Lederschuh. Keine Sorge, der Typ war kein Modesklave, sondern ein ansehnlicher Jäger. Na gut, vielleicht auch nur ein besonders philosophischer Hirte, der zu viel Wein von Dionysos erwischt hat. Ist schon verdammt lang her …


Fangen wir mit dem Landwirt mit Himmelsambitionen an.

Bootes heißt übersetzt so viel wie der mit Ochsen pflügt. Nicht gerade ein Titel, den man sich aufs Schild schreibt, aber hey, er hat es immerhin ans Firmament geschafft.

Die alten Griechen hielten ihn für Philomelos, den Sohn des Iasion und der Demeter. Sie schrieben ihm die Erfindung des Wagens zu, andere meinten, er hätte als erster Rinder vor den Handpflug gespannt. Dafür hätte er sich wirklich einen Platz da oben verdient, denn das erleichterte all seinen Nachfahren die Feldarbeit. Das dachte sich seine Mutter Demeter, die Göttin des Ackerbaus, ebenfalls und versetzte ihn zwischen die Sterne. Und weil es so schön war, schiebt er heute noch seinen Pflug, den Großen Wagen, über den Nachthimmel.


Wenigstens einer von uns, der einer sinnvollen Tätigkeit nachgeht und die Sternenfelder beackert.


Und was treibt er sonst noch? Wahrscheinlich treibt er sich selbst in den Wahnsinn, weil der Große Bär ihm dauernd davonläuft. Den Bären, das ist kein Witz, bewacht er nämlich auch noch. Arctophylax, der Bärenhüter, nennen ihn die Gelehrten. Und ja, das klingt wie eine Salbe gegen Pelzjucken.


Die Geschichte mit Kallisto und dem göttlichen Familiendrama


Jetzt wird’s kompliziert. Also, Zeus, unser aller Chef-Schnackler, hatte mal wieder seine Finger (und alles andere) im Spiel. Die Nymphe Kallisto war die Auserwählte des Tages. Hera, seine Göttergattin, fand das gar nicht romantisch und verwandelte Kallisto zur Strafe in eine Bärin. Weil – ganz im klassischen Stil – reagiert man auf Eifersucht am besten mit Tiermagie.

Der Sohn von Kallisto hieß Arkas, und irgendwann stand der Junge im Wald mit der Lanze in der Hand und traf … Na, wen wohl? Seine Mama. In Bärenform. Tragisch.

Zeus schritt ein (besser spät als nie) und warf beide hoch an den Himmel. Mama als Großer Bär, Sohnemann als Bootes, den Hüter.

Tolle Familienzusammenführung, finde ich. Irdische Dramen? Kein Problem, Götter machen einfach Sternbilder daraus. Klassisch olympisch.

Da gibt es noch mehr Tragödie und Rache, davon erzähle ich jedoch ein anderes Mal.


Dionysos, der Wein und der erste Mord im Alkoholrausch


Die Philosophen kennen eine weitere Variante mit noch mehr Drama und einem ordentlichen Rausch.

Ikarios erhielt von Dionysos die Lizenz zum Weinkeltern, indem der Gott ihm einen Weinstock übergab. Und was macht der Mann als frischgebackener Winzer?

Ikarios sagte sich: »Endlich Feierabend auf dem Land!« und schenkte den Hirten der Umgebung tüchtig aus, nur so zum Probieren.

Gut gemeint und dumm gelaufen, denn die kannten keinen Alkohol und dachten, sie wären vergiftet worden. Kurzerhand brachten sie Ikarios um. Herzlichen Glückwunsch. So geht Innovation in der Antike.

Seine Tochter Erigone war darüber so erschüttert, dass sie sich aufhängte, und ihre treue Hündin Maera starb gleich mit vor Kummer.

So entstehen Tragödien, voller Trauer und ohne Happy End.

Die Götter fanden das auch übertrieben und versetzten sie alle an den Himmel: Ikarios wurde zu Bootes, Erigone zur Jungfrau (Virgo), Maera zum Sternbild Großer Hund.

Ende gut, alles gut.

Mein Fazit (Herakles’):


Bootes ist so eine Art himmlischer Alleskönner. Mal ist er Hüter der Bärin, mal Weinopfer, mal Landwirt mit interstellarem Fuhrpark. Ein bisschen tragisch, ein bisschen göttlich, ganz schön hell. Ich mag ihn jedenfalls, wie er da so sportlich über den Himmel rumpelt und immer noch den Pflug vor sich herschiebt.

Und falls du nachts nicht schlafen kannst, schau zu Bootes hinauf. Vielleicht treibt er gerade wieder seine Kuhsterne durch die Milchstraße. Oder er überlegt, warum sein Leben im Himmel nicht einfacher ist als auf der Erde.

Glaub mir: Heldenkarrieren verlaufen selten glücklich. Davon könnte ich ganze Lieder singen. – Ein anderes Mal und ohne Gesang.

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