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Autoren-Adventskalender 2023

Autoren-Adventskalender

Für den diesjährigen Autoren-Adventskalender habe ich eine Kurzgeschichte als Special zu »Mittsommerlegende: Mit Zimt und Zauber« geschrieben. Die Bücher der Reihe können unabhängig gelesen werden. Sie spielen in Lüttpütt, einer Kleinstadt an der Elde.

Sabine Reifenstahl Mittsommerlegende
Sabine Reifenstahl Ein guts Herz

Ein gutes Herz

 

Ein schlagendes Herz macht keinen guten Menschen aus, nur seine Taten entscheiden.

 

Zu Hause liefen die Weihnachtsvorbereitungen auf Hochtouren, nicht alles sollte die kleine Enid mitbekommen. Daher schlug Magnus vor, mit ihr auf den Adventsmarkt in Lüttpütt zu fahren.
Ihr Adoptivvater Nick zog das Mädchen an. »Du hörst auf Onkel Magnus und verwandelst dich nicht in einen Wolf!«
»Papa, was denkst du denn?« Zwar sah sie wie eine Vierjährige aus, ihr altkluges Verhalten ließ jedoch keinen Zweifel, dass sie anders war als Menschenkinder. Ihre Eltern hatten sie im Wald zum Sterben zurückgelassen, Nick fand Enid und adoptierte sie zusammen mit Botho. Ganz selbstverständlich wurden die restlichen Mitbewohner zu ihren Onkeln. Das Kind ergänzte die magische Männer-WG am Rande der Ruhner Berge auf liebenswerte Weise.
Magnus parkte auf dem Großraumparkplatz am Fischerdamm, kontrollierte automatisch, ob der Ring mit dem roten Stein, der den Vampir vor dem Sonnenlicht schützte, fest auf seinem Finger steckte, und stieg aus.
Vor Ungeduld zappelte Enid in ihrem Kindersitz.
»Du weißt, was wir besprochen haben?«
»Natürlich, ich bin deine Nichte und vier Jahre alt.«
»Und?«
»Ein Mensch.«
Lächelnd öffnete er den Gurt und hob sie auf den Arm. Mit der freien Hand ergriff er zwei Papiertüten und sah sich suchend um. Hoffentlich fütterte der alte Mann auch heute den dicken roten Kater.
Schwer beladen schlenderte Magnus zu den Bänken nahe der Elde, die einen Blick aufs Wasser und die kürzlich eröffnete Kulturmühle boten. Zuerst hörte er ein Fauchen, der Kater flitzte vorbei, sein Wohltäter schaute ihm bedauernd nach.
»Guten Morgen«, sagte Magnus und stellte die beiden Tüten ab. »Entschuldigen Sie bitte, ich glaube, wir haben ihren Freund verschreckt. Wir stören nicht lange. Hier ist etwas für Sie beide, Katzenfutter und Lebensmittel. Die Plätzchen hat mein Mann gebacken.« Er streckte die Rechte aus. »Wir wünschen Ihnen eine schöne Adventszeit.«
Sichtlich gerührt, kämpfte der Mann mit den Tränen. »Warum tun Sie das?«
»Um Ihnen eine Freude zu bereiten. Sie füttern die Katze ja auch, ohne eine Gegenleistung von ihr zu erwarten. Bis zum nächsten Mal.«
Als sie sich in Richtung Marienkirche wandten, fragte Enid: »Warum hat der Onkel geweint? Sollte er sich nicht freuen?«
»Er hat sich gefreut, daher kamen ihm die Tränen. Menschen reagieren unvorhersehbar.« Nachdem er sie abgesetzt und an die Hand genommen hatte, fügte er hinzu: »Deshalb dürfen sie nicht wissen, wer wir wirklich sind.«
»Ich bin artig«, versprach sie. »Schade, dass meine Papas nicht mitkommen wollten.«
Heimlich seufzte Magnus, obwohl keine Notwendigkeit zum Luftholen bestand. Enids Väter fühlten sich im Gedränge unwohl, was an ihrer zweiten Natur lag, in Nick schlummerte ein Wolf. Botho konnte sich zwar nur in einen Hund verwandeln, aber er hatte Jahrhunderte allein gelebt.
Menschenansammlungen gefielen Magnus auch nicht sonderlich. Wohl stillten inzwischen Blutkonserven seinen Hunger, dennoch lief ihm im Getümmel das Wasser im Mund zusammen.
»Da ist Tante Melissa«, rief Enid und zerrte ihn zu der rothaarigen, jungen Frau.
Sie hob das Kind hoch und drehte sich ungestüm mit ihm um die eigene Achse. »Du bist ja schon wieder gewachsen, Süße. – Grüß dich Magnus.« Bei den Worten hauchte sie dem Vampir einen Kuss auf die Wange. »Ich freue mich, dass du gefragt hast, ob ich euch begleite.«
»Du kennst dich mit dem Weihnachtsgedöns besser aus.«
»Zieh nicht so ein Gesicht, das macht Spaß!«, antwortete sie und hakte sich bei ihm ein.
Enid zappelte, bis sie abgesetzt wurde, drängte sich zwischen sie und nahm sie bei den Händen. »Da ist ein Karussell!«
»Langsam, Schätzchen, du reißt uns ja die Arme aus!« Melissa musterte die Umgebung und vor allem die Besucher des Marktes. »Willst du auf einem Pferd reiten oder in der Feuerwehr fahren?«
»Pferd!«
»Das mochte ich früher auch.«
Enid stoppte plötzlich, hob den Kopf und zog sie in Richtung Kirche.
»Was ist?«, erkundigte sich Magnus.
Zielstrebig führte das Mädchen sie zu einer Frau, die einen Jungen umarmte. Er mochte vielleicht sechs Jahre alt sein.
»Warum weinst du?«, fragte Enid.
»Das geht uns nichts an«, versetzte Melissa. »Komm, dein Pferdchen wartet.«
»Mein Hund ist weg«, sagte der Junge und wischte sich mit dem Fäustling übers Gesicht. »Es hat so laut geknallt, da hat sich Ajax losgerissen.«
»Wir helfen dir suchen!«
Bei Enids Angebot zuckte Magnus zusammen, doch er sah das hoffnungsvolle Gesichtchen des Knaben und die traurige Miene der Mutter. Wie könnten sie nicht?
»Wo ist das passiert?« Melissa hockte sich zu dem Kind und blähte witternd die Nasenflügel auf. Auch Enid sog geräuschvoll die Luft ein. Wandelwölfe besaßen selbst in ihrer menschlichen Gestalt einen hervorragenden Geruchssinn, sie schienen eine Fährte aufgenommen zu haben.
»Am besten wir trennen uns und treffen uns wieder hier. So ist die Chance größer. Wie sieht Ajax denn aus?« Seine Begleiterinnen mochten den Ausreißer am Geruch erkennen, Magnus brauchte etwas Greifbareres. Als ihm die Fremde ein Foto von einem kleinen weißen Hündchen zeigte, rollte er innerlich mit den Augen. Bei dem Namen Ajax rechnete er automatisch mit einem Schäferhund oder zumindest mit einer imposanten Erscheinung.
Ungeduldig zog Enid in eine Richtung, Melissa nickte unauffällig und Magnus blieb nur, ihnen zu folgen.
»Da!« Das Mädchen wollte losstürmen, ihre Tante hielt es jedoch fest. »Ruhig, Süße, du willst Ajax doch nicht erschrecken. Er kann riechen, was du bist.« Mit dem Kopf deutete sie auf die parkenden Autos in der Nebenstraße. »Versuch, ob du ihn anlocken kannst, bevor er unter die Räder kommt«, wandte sie sich an Magnus.
Auf allen vieren kniend suchte er die Straße ab und entdeckte unter einem SUV ein helles Fellknäuel. »Ajax, hier!«, befahl er in der Annahme, es würde wie die eigene Hündin gehorchen. Das Hündchen kauerte sich jedoch noch mehr zusammen und winselte.
»Ajax, komm zu mir.« Diesmal redete er sanft wie zu einem Kind. »Komm, mein Kleiner.« Zu seiner Überraschung krabbelte der Malteser auf dem Bauch näher und schnüffelte an der ausgestreckten Hand. »Alles gut, ich tue dir nichts.« Vorsichtig griff Magnus nach dem Halsband und nahm das zitternde Tierchen auf den Arm. Instinktiv steckte er es unter die Jacke.
Melissa trat heran. »Gut gemacht, du bist ja ein richtiger Hundeflüsterer. Suchen wir sein Herrchen.«
»Darf ich Ajax streicheln?«, fragte Enid.
»Lass das lieber. Hunde fürchten uns«, flüsterte ihre Tante.
»Arie nicht.«
»Nein, aber die lebt auch bei euch. Du willst doch nicht, dass Ajax Angst bekommt, oder?« Sie hob das Kind hoch. »Du hast ihn gefunden, und das ist das Wichtigste. Jetzt muss der Junge nicht mehr traurig sein. Pass auf, was gleich passiert.« Winkend rief sie: »Hier!«
Magnus zog den Hundewinzling aus der Jacke und reichte ihn an sein Herrchen weiter.
»Ajax.« Lachend drückte er das Tier an seine Brust, der Schweif des Maltesers wedelte frenetisch dazu.
»Vielen Dank.« Dem Kind liefen Tränen über die Wangen.
»Nicht weinen«, bat Enid.
»Das ist, weil ich so glücklich bin. Ich heiße Finn und du?«
»Enid.«
»Mama, können wir Karussell fahren?«
Kinder vergaßen schnell, und ehe Magnus sich versah, steckte Ajax wieder unter seiner Jacke und die beiden Kleinen spornten zwei Holzpferde an. Finns Mutter stand neben ihm und wischte sich verstohlen übers Gesicht. »Ich weiß gar nicht, was ich ohne Ihre Hilfe gemacht hätte.«
»Gern geschehen«, erwiderte Melissa.
»Sonst lässt sich Ajax von keinem Fremden anfassen.« Die Frau betrachtete Magnus eindringlich. »Tiere spüren, wenn jemand ein guter Mensch ist.«
Bei den Worten zuckte er unmerklich zusammen. Ein amüsiertes Schnauben erklang, dass er mit einem warnenden Blick in Richtung Melissa quittierte. »Hunde mögen mich«, gab er zu. »Es ist schön zu sehen, wie viel Spaß die Kinder haben.«
»Ihre Tochter ist ein liebenswertes Mädchen, sie hat Glück, einen solchen Va… solche Eltern zu haben.«
Melissa hakte sich bei Magnus ein und antwortete grinsend: »Wir sind auch sehr glücklich, nicht wahr, Schatz?«
Als Mutter und Sohn sich verabschiedet hatten, tätschelte sie seine Hand. »Das war wirklich verdammt nett von dir. Und sie hat recht, obwohl du kein Mensch bist.«
»Du hast ihr ebenfalls geholfen. Ohne euren Geruchssinn hätte ich den Hund nie gefunden.«
»Genau das meine ich. Du bist sogar zu bescheiden, ein Lob für dich zu beanspruchen. Enid hat Glück mit ihren Eltern und ihren Onkeln.«
»Und mit ihrer Tante«, fügte Magnus hinzu.
Lächelnd drückte sie ihm einen Kuss auf die Wange. »Danke. – Wollen wir uns einen Kakao holen, Enid?«
Für seine Begleiterinnen bestellte er heiße Schokolade und für sich einen Alibi-Tee, denn menschliche Nahrung bekam ihm seit der Verwandlung nicht mehr. Die Hände um die Tasse gelegt, sog er das friedliche Bild ein. Weihnachtsmusik, Lichterglanz, Menschen mit strahlenden Gesichtern. Mühsam kämpfte er gegen die aufsteigenden Tränen an.
Enid streckte fordernd die Arme aus, bis er sie hochnahm. »Jetzt weinst du auch noch, Onkel Magnus. Erst der Mann, dem du das Essen geschenkt hast, dann Finn, als er seinen Hund wiederbekam. Worüber freust du dich so?«
»Dass ich euch habe, Schätzchen«, erwiderte er mit belegter Stimme. Nach Jahrhunderten der Einsamkeit hatte er eine Familie gefunden.
Melissa trat an ihn heran und legte ihm die Rechte auf die Brust. »Ich hätte gewettet, da rumpelt ein riesiges Herz«, sagte sie lächelnd. »Deines ist größer als das der meisten. Wir können froh sein, dass wir dich haben. Wenn ich nicht schon verliebt und du nicht so fürchterlich vernarrt in Jo wärst …« Sie zwinkerte. »Ich fass es nicht, dass ich das zu einem Vampir sage, aber du bist wirklich ein guter Mensch!«

 

© 2023 Sabine Reifenstahl

Sabine Reifenstahl Mittsommerlegende Magnus

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Sabine Reifenstahl Melissa Ein gutes Herz

Melissa

Sabine Reifenstahl Ajax Ein gutes Herz

Ajax

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