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Bild von Enyo, auf Hocker sitzend, aus Dunkelheit und Silberglanz

Auf Instagram erstelle ich regelmäßig Beiträge zum #figurenfreitag. Bei der Frage, wie leicht sich unsere Figuren anpassen, die 2023 einleitete, bekam mein Schreibtisch eine dicke Schramme.

     Enyo deponiert ihr Schwert polternd darauf, obwohl ich sie schon oft ermahnte, das zu lassen. Meinen warnenden Blick quittiert sie mit einem amüsierten Lachen. »Du hast mich zur Kriegsgöttin gemacht. Nun lebe mit den Konsequenzen.«
     Für solche Fälle habe ich ein Fläschchen dunkle Möbelpolitur in der Schublade, daher antworte ich: »Ich wünsche dir gleichfalls ein glorreiches neues Jahr.«
     »Du fischst doch wohl nicht nach Freundlichkeiten?«
     »Ich bin nur höflich. Willst du die Frage beantworten?«
     »Sehe ich so aus? Ich verhindere lediglich, dass du für mich sprichst. Flexibel? Klingt nach verbiegen, und ich bin niemand, der von seinen Ansichten abweicht.«
     Innerlich verdrehe ich die Augen. Da könnte ich ’zig Gegenbeispiele aufzählen. Immerhin war sie mal eine kaltschnäuzige Ziege, die einzig für den Kampf lebte.
     »Das zählt nicht!«, erwidert sie, ohne dass ich den Gedanken laut ausspreche. »Meinen Prinzipien blieb ich treu. Ich hatte nie Spaß an sinnlosen Grausamkeiten und schätze auch heute noch ein gekonntes Tänzchen mit dem Schwert.«
     Obwohl ich weiß, wie zwecklos Diskussionen mit ihr sind, sage ich: »Aber du liebst. Und du hast ein Refugium für Schutzbedürftige geschaffen. Früher hättest du die als Schwächlinge abgetan.«
     »Ich bin lernfähig. Außerdem ist es durchaus von Vorteil, schnell auf geänderte Situationen zu reagieren. Das ist kein Anpassen, sondern taktisch geschicktes Handeln. Um zu siegen, musst du dich auf den Gegner einstellen und seine Aktionen voraussehen. Das hat nichts mit verbiegen zu tun. Doch ich sollte nicht erwarten, dass jemand, der seine Zeit hinter einem Schreibtisch verbringt, das versteht.«
     Langsam wird es mir zu bunt. Enyo ist meine Schöpfung und sollte sich entsprechend respektvoll verhalten.
     »Das kannst du vergessen. Von wem habe ich mein Temperament? Schreib, dass ich aus jeder Lage das Beste mache! Wie es einer Göttin gebührt.«
     »Ich bleibe gern bei den Tatsachen.«
     Sie ergreift ihre Waffe und sieht mir in die Augen. »Ist dir aufgefallen, dass Warg nicht hier ist, um mich zu beruhigen? Also reiz mich nicht!«
     Automatisch sinke ich tiefer in den Stuhl. Obwohl sie keine Miene verzieht, erkenne ich eine Drohung, wenn sie mir in den Hintern beißt. Natürlich könnte ich Enyo zähmen und zu einer gut gelaunten und besonnenen Heldin umschreiben. Die Versuchung ist groß, ihr einfach den Hang zu Klingen zu nehmen. Stattdessen schüttele ich resigniert den Kopf. »Von mir aus.« Im Gegensatz zu ihr kann ich nachgeben, falls ich darin einen Vorteil sehe.
     Die Art, wie sie während des Verfassens dieses Beitrages hinter mir steht, bewirkt, dass ich immer wieder die Tasten verfehle. Sie klopft mir beruhigend auf die Schulter. »Na siehst du. War doch gar nicht schwer.« Nachdem sie sich überzeugt hat, dass er veröffentlicht ist, winkt sie mir zum Abschied zu und zwinkert verschwörerisch. »Bis zum nächsten Mal.«

     Ich hoffe, das lässt ein Weilchen auf sich warten.

Enyo zu Besuch

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