Mittsommerlegende – Zauberhafter Jasmin
Mittsommerlegende – Zauberhafter Jasmin
Jasmin begibt sich in die Bleichertannen, um eine urbane Legende zu entlarven. Was er sieht, verändert seine Weltanschauung. Er begibt sich auf die Suche nach einem Wesen aus einer anderen Welt, ohne zu ahnen, wie gut er dieses bereits kennt.
Klappentext:
Der kürzlich in die Kleinstadt gezogene Jasmin nimmt sich vor, den Aberglauben zu widerlegen, indem er für seinen Literaturblog ein Video dreht. In der Mittsommernacht besucht er den im Wald gelegenen Feenkreis. Wider Erwarten fesseln ihn unheimliche Ereignisse. Ein Portal aus Licht erscheint, ein Fremder fleht um Gnade. Die eiskalte Absage schmerzt schon beim Zuhören.
Von Mitgefühl getrieben, sucht Jasmin den nächtlichen Bittsteller und findet den aus der Anderswelt verbannten Samaro. Seine Augen, die Art zu reden und die traurige Geschichte von zurückgewiesener Liebe faszinieren den Blogger.
Jasmin ahnt nicht, dass die erwachenden Gefühle ihn die Seele kosten könnten.
Leseprobe:
Jemand betrat die Lichtung, blieb stehen, blickte umher und näherte sich vorsichtig dem Feenring.
Angespannt beobachtete ich den Fremden und vergewisserte mich, dass meine Ausrüstung die Szene dokumentierte. Der Mann war hochgewachsen und schlank. Wie unter einer zentnerschweren Last hielt er den Oberkörper vorgebeugt.
Sofort wurde ich an die Federzeichnung erinnert und suchte nach Ähnlichkeiten mit dem Ankömmling. Das war eindeutig nicht Nosferatu, wie ich ihn mir vorstellte: mit vorgestreckten Klauen und kahlem Schädel. Stattdessen sah ich schulterlange, dunkle Locken, zu Fäusten geballte Hände, moderne Kleidung. Im Mondlicht leuchtete das Antlitz unnatürlich.
Beim vergeblichen Versuch, Gesichtszüge zu erkennen, vergaß ich zu atmen. Mit so einer Entwicklung hatte ich nicht gerechnet, dankte dem Mond tonlos für die Festbeleuchtung und schrieb hastig an meine Zuschauer: Ein Vampir? Danach konzentrierte ich mich wieder auf den Nachtwandler.
Erneut verharrte er, sicherte die Umgebung und seufzte schwer.
Unweigerlich richteten sich die Härchen auf meinen Unterarmen auf. Mir war nicht wohl dabei, den Unbekannten zu bespitzeln und zu filmen. Außerdem kamen mir rechtliche Bedenken. Sicherheitshalber schaltete ich die Livefunktion ab, nahm lediglich auf, um später über die Verwendung des Materials zu entscheiden.
Feierlich schritt der Mann den Feenring ab, blieb nach jeder Runde stehen und lauschte.
Die Luft kühlte deutlich ab und begann seltsam zu flimmern. Es knisterte wie bei einer elektrischen Entladung. Ozongeruch wie kurz nach einem Gewitter wehte herüber.
Um besser zu sehen, kniff ich die Lider leicht zusammen und duckte mich gleichzeitig tiefer.
Mitten auf der Lichtung erschien ein übermannshohes Oval, flirrte hellblau mit weißen Energieausbrüchen und beleuchtete Wiese und Waldrand.
Stöhnen erklang, so gequält, dass ich zusammenzuckte. Mein Puls beschleunigte, die Hände zitterten.
Gebannt verfolgte ich, wie der Fremde auf das Licht zu taumelte und damit mein gesamtes Weltbild ins Wanken brachte. Was ging da vor?
Auf ein Knie gesunken, den Kopf geneigt, flehte der Unbekannte seltsam schleppend: »Hoheit, ich bin Euer Diener! Erlaubt mir, heimzukehren!«
»Du schon wieder, Samaro. Wie viel Zeit ist vergangen?«
Die hohe Frauenstimme jagte mir einen Schauer über den Rücken.
»Einhundert Jahre.«
Stille.
Der Bittsteller beugte das Haupt Richtung Erdboden. »Ich flehe Euch an, Hoheit! Seid gnädig! In dieser Welt …«
»Bereust du deinen Ungehorsam?«
»Ja, Hoheit, ich würde alles tun! Gestattet mir, Euer demütiger …«
»Nein! Ich bin deiner überdrüssig. – Wie oft hast du schon um Gnade gewinselt?«
»Heute bin ich zum vierten Mal hier, Hoheit. Noch ein Jahrhundert in Finsternis …«
»Für mich ist weniger als ein Jahr vergangen. Die Erinnerung an dein Vergehen brennt frisch in meinen Eingeweiden.«
»Brigit, bitte, du bist mein Licht! Ich tue, was immer du befiehlst. Sei gnädig! Hier bin ich verdammt, die Sonne zu meiden. Die Dunkelheit verzehrt meine Seele.«
Sein Flehen hätte einen Stein erweicht, nicht jedoch die Dame mit der frostigen Stimme.
»Brigit? Du hast kein Recht, mich anders anzusprechen als mit meinem Titel! Einst … Doch das ist vorbei, schau dich an! Was sollte ich mit dir anfangen? Dein Anblick ist mir unerträglich! – Das Anliegen ist abgelehnt!«
Ihr hohles Lachen ließ mich nach Luft schnappen, und mir sträubten sich die Nackenhaare.
»Bitte …«
Schlagartig verschwand das Licht und es wurde wärmer.
Der Mann kippte vornüber und schluchzte hemmungslos.