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Im Bann des Mistelzweigs

Zwischen funkelnden Lichtern, heimeligem Plätzchenduft und einer chaotisch-liebenswerten Wahlfamilie erlebt Kieran sein Weihnachtswunder. Bonus-Szene zu »Mit Zimt und Tiger«

Special zu »Mit Zimt und Tiger«


Der Duft von frisch gebackenen Plätzchen hing in der Luft. So süß und warm wie ein unsichtbarer Schal legte er sich um meine Schultern, als ich durch die Eingangshalle schlenderte. Aus der Küche drangen Geräusche herüber – Magnus’ tiefes Grollen, Jos helles Glucksen, Nicks und Bothos Lachen und irgendwo dazwischen das Kichern meiner Wahlnichte Enid. Unser erstes gemeinsames Weihnachtsfest, die ganze Familie hatte sich bei mir getroffen. Das alte Gemäuer atmete durch all die Liebe ringsum, als hätte es ein schlagendes Herz.

Ich blieb an der Schwelle zur Bibliothek stehen. Im Rahmen der halb offenen Tür pendelte der Mistelzweig, den Sasha heute Morgen mit triumphierender Miene befestigt hatte.

»Tradition«, nannte er das.

Das Gelächter seines Zwillingsbruders Robin, meines Liebsten, hatte mir die Knie weich werden lassen. Der Nachklang dieser sonoren, samtigen Töne hallte noch durch meine Zellen und ließ sie vor Vorfreude flattern.

Drinnen schimmerte der Weihnachtsbaum von bernsteinfarbenen Lämpchen. Die Tannennadeln verbreiteten einen warmen, harzigen Duft, der mich in heimelige Stimmung versetzte. Ich schloss die Lider und sog die Atmosphäre ein.

Ein gedämpftes, zufriedenes Seufzen erregte meine Aufmerksamkeit, gefolgt von tiefem Murmeln. Ein Paar traf sich unterm Traditionsgesträuch, das aus jeder Pore Liebe verströmte: Sasha und Maeron.

Ich verharrte, weil der Anblick mich verzauberte.

Maeron stand unter dem Mistelzweig. Die Beleuchtung des Baumes spiegelte sich in seinen Augen wie flüssiges Gold. Sein Gefährte Sasha beugte sich zum ihm herab.

Der Zwillingsbruder meines Partners Robin war ein Riese – muskulös, breitschultrig, einschüchternd. Dennoch hielt er seinen Erwählten so sanft, als bestünde er aus Mondschein. Maeron wirkte tatsächlich wie aus Licht erschaffen mit seinem weißen Haar und der durchscheinenden Haut. Selbst ich hatte stets das Bedürfnis, den zierlichen Sidhe zu beschützen, obwohl er eine Banshee und der Wehrhafteste von uns war.

Ich sah, wie er die Lider schloss und sich in die Berührung lehnte, fast ätherisch neben dem felsenfesten Hünen.

Ein langer Kuss folgte, bei dem sich Maerons Finger Halt suchend in Sashas Hemd krallten.

Allein der Anblick löste ein Prickeln in mir aus, ich sehnte mich nach meinen Männern.

Genau in diesem Moment schoben sich zwei Hände an meine Hüften.

»Du weißt schon, dass du ebenfalls unter dem Mistelzweig stehst, oder?« Robins Atem kitzelte an meinem Ohr, und ich spürte, wie sich sein Brustkorb an meinen Rücken schmiegte. Das Aroma von Kaminholz, Apfeltee, seinem Parfüm und dem ihm eigenen herb-männlichen Duft umfing mich. Ich wandte mich zu ihm um. Alessio tauchte daneben auf. Schalk funkelte in seinen Augen, als er zwinkerte.

»Sicherheitsmaßnahmen abgeschlossen«, verkündete Robin trocken. »Kusszone vollständig überwacht und in Betrieb genommen.«

Das entlockte mir ein Grinsen. »Ihr zwei seid unmöglich.«

»Wir sind effizient«, korrigierte Alessio und trat näher. »Und du befindest dich mittendrin, mein Liebster. Über dir baumelt das Krautbüschel der Tradition. – Regeln sind Regeln.«

Robins Rechte glitt in meinen Nacken. Sein Kuss schmeckte nach Äpfeln, Zimt und Verlangen. Er zog mich heran, setzte die Zunge ein und sog mir die Luft aus der Lunge.

Mir schwindelte, ich nahm nur noch seine Lippen wahr.

Kaum löste ich mich, um durchzuatmen, streckte Alessio sich und schenkte mir einen sanften Kuss. Liebevoll streichelte er meine Wange. »Unser erstes Weihnachten hier. Jetzt fühlt sich dieses Haus wie ein Zuhause an.«

Ich nickte.

Wir beide wohnten schon lange hier, doch erst mit dem Einzug von Robin und dem Überfall seiner Verwandten zu den Feiertagen wurde aus dem Gemäuer ein Heim.

Hinter uns hörte ich Maeron lachen, zart und hell, Sashas tiefes Echo antwortete wie ein Versprechen, das sich im warmen Licht des Baumes verankerte.

Nach all den Jahrhunderten voller Schmerz und Einsamkeit hatte ich meine große Liebe gefunden. Mit zwei wunderbaren Männern. Und dazu eine Familie, die mir alles bedeutete.

Während Robins Fingerspitzen meinen Rücken hinab strichen und Alessio seine Finger mit meinen verschränkte, dachte ich: Dieser Abend, meine neue Familie und unsere Liebe sind mein Weihnachtswunder. Niemals lasse ich es wieder los!


© Sabine Reifenstahl 2025

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